Als Künstler stelle ich mir fortlaufend Fragen und bekomme sie auch ständig von Freunden, Sammlern und Kuratoren gestellt. Fragen zur Technik, zur Bildgestaltung, zu den Texten in meinen Bildern, vor allem zur Verbindung von Kunst und Philosophie. Die wichtigsten habe ich zusammengestellt und in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. Daraus entstand eine Art Interview, das durch seine Offenheit dem Textcharakter meiner Bilder näher kommt als ein geschlossener Essay. Djawid C. Borower _____________________________________ Dein Anliegen ist es, Kunst und Philosophie miteinander zu verbinden. Was bringt das der Kunst und was der Philosophie? Sie haben ein Nahverhältnis. Die Kunst gilt dabei als intuitiv und emotional, die Philosophie als rational. Kunst und Philosophie miteinander zu verbinden heißt, etwas zu schaffen, was intuitiv, emotional und rational ist. Du bezeichnest Deine Bilder als "Palimpseste". Wie kommst Du auf diesen Titel? In der Antike waren dies Manuskripte, die man mehrmals wiederverwendete, indem man sie abschabte und wieder beschrieb. Palimpsest kommt aus dem Altgriechischen. "Palin" bedeutet "wieder" und "psaein" "abschaben". Dieser Begriff gibt präzise meine Maltechnik wieder. Ich trage mehrere Schichten Ölfarbe auf und schabe sie partiell wieder ab. Außerdem hat der Begriff für mich einen ganz eigenen Klang, der eine mythologische Tiefe in sich trägt. Du legst beim Abschaben Teile der unteren Malschichten frei. Es werden Farben, Formen und auch Textfragmente sichtbar. Was beinhalten diese Schichten genau? Wenn ich ein klassisches Ölbild mit mehreren Lasuren anlege, dann baut eine Lasur auf der anderen auf. Die Lasuren korrespondieren miteinander und sind aufeinander abgestimmt. Die Schichtungen in meinen Palimpsesten sind jedoch nicht auf Kohärenz angelegt. Es können sich Spannungen, gar Widersprüche zwischen den Ebenen ergeben. Das ist für mich das Reizvolle. Meine Bilder baue ich sozusagen historisch auf. In der ersten Schicht male ich Bilder im Stil der Klassischen Moderne, der geometrischen Abstraktion oder des abstrakten Expressionismus. Diese Ebene liegt meinen Bildern zugrunde, auf sie baut meine Malerei auf. Von ihr grenze ich mich aber auch ab. Ist das nicht schade, wenn Du ein Bild malst und es dann übermalst? Wenn es mir besonders gelungen ist, ist es schon schade. Aber es ist letztlich sehr viel spannender, es zu ¸übermalen und Teile frei zu legen. In den originalen Palimpsesten ist etwas Ähnliches passiert. Im christlichen Mittelalter überschrieb man vorwiegend antike, also "heidnische" Texte. Man verdeckte das, worauf man aufbaute. Das Andere ist nicht ausgelagert. Sondern es ist Teil des eigenen Korpus. Dieses inhärente Anderssein finde ich faszinierend und ist meines Erachtens ein Aspekt jeder Kultur und auch eines jeden Kunstwerks. Durch Deine Abschabungen werden auch Textfragmente sichtbar. Was sind das für Texte? Häufig sind es schriftliche Vorarbeiten zu meinen Bildern. Notizen. Exzerpte. Skizzen. Es sind Texte von Autoren, mit denen ich mich auseinandersetze. Oder auch meine eigenen Theaterstücke. Die untere Schicht ist sozusagen mein künstlerisches Unterbewusstsein. Es ist das Nichtsichtbare, aber Vorhandene. Was beinhaltet die oberste Schicht? Die oberste Schicht ist ein ganzflächiger Farbauftrag. Die Motive und Texte entstehen nicht, indem ich auf diese Schicht mit einem Pinsel noch einmal etwas auftrage, sondern indem ich etwas freilege und untere Schichten sichtbar mache. In Deinen früheren Bildern hast Du die Farbe mit einer Spachtel abgeschabt. Du machst das immer noch? Ja. Der Vorgang hat sich nur vertieft. Früher habe ich nur eine einzige Farbschicht aufgetragen, jetzt sind es mehrere. Heute senke ich die Spachtel in das nasse Öl hinein und schabe Farbe ab, früher habe ich sie eher verwischt. Dadurch wird sowohl das Prozesshafte als auch das Gestalterische betont. Auch fällt auf, dass Du früher sehr grafisch gearbeitet hast. Abgesehen von den Spuren des Abstreifens sind keine Pinselstriche und wenig Handschriftliches sichtbar. Ich habe zunächst Arbeiten geschaffen, bei denen ich mehr oder weniger hinter meinem Werk zurücktrete. Das Abschaben selbst war meine Handschrift. Jetzt ist der Autor wiedergekehrt. Ich signiere auch bewusst auf der Vorderseite, was eher unüblich geworden ist. Die postmoderne Philosophie spricht vom "Tod des Autors". Du teilst diese These nicht? Vereinfacht gesagt meint diese These, dass jedes Kunstwerk ein Produkt seiner Zeit ist. Die Postmoderne spricht von „Diskursordnungen“, die uns alle prägen. Daran ist viel Wahres. Aber dennoch behaupte ich durch die Betonung meiner Handschrift sehr bewusst, dass diese These verkürzt ist. Der Autor ist sichtbar da. Du hast mehrere Bilder geschaffen, in denen Du das „Palimpsest“ als eine kulturelle Metapher begreifst. Wie ist das zu verstehen? Für mich ist es eine Metapher dafür, dass Vorangegangenes nicht einfach weg ist, indem es durch das Nachfolgende abgelöst wurde. Oberflächlich betrachtet ist China eine westliche Kultur. Aber unter dieser Schicht lebt noch das alte China weiter. In Europa schob sich das Christentum wie ein Gletscher über die Antike, die dann in der Renaissance wieder an die Oberfläche trat. Geschichte ist eher Prozess tektonischer Verschiebungen, in dem sich Platten übereinander schieben, und zwar nicht fein säuberlich, sondern in Gemengelagen von Unten und Oben. Lineare Entwicklungen finden nur lokal und nur in kurzen Zeitspannen statt. Ähnliches gilt auch für Texte, mit denen ich ja in meinen Bildern arbeite. Wenn ich Platon zitiere, dann sehe ich mir erst einmal an, wie ich auf seine Gedanken reagiere, was ich empfinde, wie ich sie heute verstehe. Unter dieser obersten Schicht des intuitiven Verstehens liegen aber Jahrhunderte der Platon-Rezeption. Wie hat man den Text vor 100 Jahren verstanden, wie vor 1000 Jahren? Wie haben Platons Zeitgenossen ihn wohl aufgefasst? Wo liegen hier die Brüche, die Widersprüche? Wo die Grenzen meines eigenen Verstehens? Philosophie ist aus meiner Sicht selbst ein Palimpsest. Das klingt nach Dekonstruktivismus!? Meine Methode hat auch viel damit zu tun. Aber ich nehme meinen eigenen intuitiven und emotionalen Zugang als oberste Schicht sehr ernst. Diese Form des Offenlegens ist ein sehr bewusster und gestaltender Akt, in dem ich als Künstler und Autor sichtbar werde. Woher stammen die Texte in Deinen Bildern? Hauptsächlich sind es eigene Texte. Sie sind teilweise theoretisch, können aber auch sehr persönlich sein und meine eigenen Empfindungen zu einem Thema wiedergeben. Manchmal zitiere ich auch andere Autoren. Deine Bilder wecken Assoziationen zu den Zeichnungen von da Vinci, die ja auch einen starken Textbezug haben. Ist dies beabsichtigt? Natürlich ist da Vinci inspirierend und ich habe mir seine Zeichnungen und auch seine Texte sehr genau angeschaut. Aber ich male nicht so wie ich male, weil ich da Vinci großartig finde, sondern weil ich Malerei, Handschrift und Philosophie miteinander verbinden möchte. Die Assoziation zu da Vinci entsteht automatisch, da er auf seinen Blättern künstlerisch, theoretisch und handschriftlich gearbeitet hat und sein Werk so präsent ist. Zu welchen Künstlern siehst Du eine Nähe? Wie gesagt stelle ich in der ersten Schicht meiner Bilder die Verbindung her zu Klassikern der Moderne. Hier interessieren mich vor allem die geometrische Abstraktion eines Malewitsch oder Kandinsky und die frühe Farbflächenmalerei. Die Verbindung von Malerei und Handschrift haben bereits andere Künstler praktiziert, wie etwa Cy Twombly. Wie ist Dein Verhältnis zur Konzeptkunst? Schwierig. Sie ist für mich das innere Andere. Die untere Schicht, auf die ich aufbaue. Konzeptkunst appelliert an den Kopf. Ich möchte aber das Rationale, Emotionale und Körperliche gemeinsam erlebbar machen. In der Malerei wird seit Picasso Schrift als gestalterisches Mittel eingesetzt. Du arbeitest mit Deinen Texten aber auch sehr inhaltlich. Worin besteht für Dich die Notwendigkeit, Deine Gedanken nicht auf Papier, sondern auf der Leinwand zu formulieren? Eine wissenschaftliche Abhandlung ist darauf angelegt, etwas zu beweisen. Das will ein Kunstwerk nicht. Es ist offener. Anders als in einer Abhandlung bekomme ich in einem Bild verschiedene Aspekte eines Themas gleichzeitig präsentiert. Hier wird ein Assoziationsraum geschaffen, der dem Betrachtenden die Freiheit lässt, sich eigene Gedanken zu machen. Eine wissenschaftliche Abhandlung suggeriert eine Objektivität, die nicht vorhanden ist. Bei einem Kunstwerk ist es hingegen klar, dass es eine subjektive Äußerung des Künstlers darstellt. Die Beziehung zwischen einem Kunstwerk und dem Rezipienten ist sehr viel intimer, emotionaler und subjektiver als bei der Lektüre eines papierenen Textes. Das Buch wird zugeschlagen, der Bildschirm abgeschaltet. Wenn man das Gemälde bei sich zuhause hängen hat, setzt man sich sein ganzes Leben lang damit auseinander. Aber kann man diese Form noch als Philosophie bezeichnen? Das kommt darauf an, wie man Philosophie definiert. Hält man die Wissenschaftlichkeit allzu hoch, wäre Platon auch kein Philosoph, sondern ein dramatischer Autor. Zuviel Kunst! Die Antike wimmelte von Dichter-Philosophen: Heraklit, Xenophon, Empedokles etc. Ein Drittel der mathematischen Schriften aus dieser Zeit sind uns in Gedichtform überliefert. Philosophie wurde gesprochen, gedichtet, geschrieben, gelebt. Erst durch ihre Verschulung musste sie vertextet werden und systematisch sein. Aber Philosophie ist nicht an eine Form gebunden. Daher kann Philosophie auch auf einem Bild passieren. Entscheidend ist für mich, was ihr Grundanliegen ist. Ich knüpfe an die antike Vorstellung an. Für Sokrates war Philosophie eine Hebammenkunst. Ihr ging es nicht darum, Inhalte zu vermitteln, sondern das eigene Erkennen anzuregen. Das kann auch ein Gedicht, ein Aphorismus, ein Bild. Viele Philosophen meinen heute jedoch, dass ihre Disziplin Wissenschaft zu sein hat!? Nichts gegen Wissenschaft. Philosophie kann aber auch anders sein. Sie kann auch mehr sein. In der Antike war sie eine Lebensform. Epikur hatte einen Garten, in dem sich Bürger, Hetären und Sklaven zum Philosophieren einfanden. Philosophie war ein Bekenntnis, auf eine bestimmte Weise die Welt zu sehen und auch so zu leben. Was heute die Kunst ist, war damals die Philosophie. Wenn sie auf die Wissenschaft eingeengt wird, treibt man den ausgegrenzten Teil in die Arme der Kunst. Das ist auch, was zurzeit passiert. Wenn Teile der Philosophie in die Kunst auswandern, verschwindet dann nicht deren argumentativer Charakter? In den zweieinhalbtausend Jahren der Philosophie wurde argumentiert, demonstriert, wurden Gleichnisse erzählt, Selbstgespräche geführt, Predigten gehalten oder einfach nur Einsichten formuliert, die ein hohes Maß an Plausibilität haben: "Alles fließt". Was meine Bilder angeht, argumentiere ich stellenweise auch. Aber ich bringe ebenso Beispiele, ich beschreibe meine eigenen Empfindungen. Ich schaffe Verweisungszusammenhänge. Ich schaffe ein Gedankenbild. Allerdings arbeite ich nicht daran, dass meine Argumentation zwingend ist. Das unterscheidet meine Bilder von einer wissenschaftlichen Abhandlung. Eine Abhandlung will einen Gedanken ganz klar vermitteln, ein Kunstwerk will offen sein. Du berufst Dich auf die Philosophiegeschichte. Was für eine Bedeutung hat sie für Dich? Mich auf der Leinwand mit den wichtigsten Philosophen zu beschäftigen, ist etwas ganz anderes, als wenn ich über sie eine Abhandlung schreibe. Die Zeitdimension löst sich auf. Ich tausche mich über die grundlegenden Fragen mit Menschen aus, die vor tausend, zweitausend Jahren lebten. Wenn ich ihre Texte in Öl einkerbe, habe ich das Gefühl, in einen Dialog mit ihnen zu treten. Es sind dann keine Äußerungen mehr aus einer längst vergangenen Zeit, sondern sie sind im Hier und Jetzt. Sie nehmen vor mir auf der Leinwand Körper, Farbe und Form an. Abgesehen von dieser persönlichen Erfahrung denke ich, dass die Überzeitlichkeit der Philosophie auch ihr großer Vorteil ist. Philosophie und Philosophiegeschichte voneinander zu trennen macht für mich keinen Sinn. Philosophie ist ebenfalls eine Form des Palimpsests. Inwieweit beeinflusst die Tatsache, dass Du auf der Leinwand philosophierst, auch Deine Texte? Einen Text auf einem Bildschirm zu entwickeln ist etwas anderes als auf einer Leinwand. Durch die Malerei, durch das langsame Eingravieren des Textes, durch die Ästhetisierung der Schrift, durch die körperliche Erfahrung entstehen andere Gedanken. Es riecht anders, es fühlt sich anders an, es ist sehr viel farbiger, sinnlicher, an der Leinwand zu formulieren. Der Gedanke gewinnt einen Körper, er gewinnt an Emotionalität. Er gehört zur Welt des Realen. Ja, das Medium beeinflusst meine Inhalte. Dass ich in meinen Bildern mehrere Farbschichten aufbaue und sie wieder abschabe, beeinflusst sicherlich meine Gedanken über das Thema "Palimpsest". Es gibt viele andere Thesen und Ideen, die durch meine Malerei inspiriert sind. Ich lerne etwas aus meinen Bildern. Sie lösen etwas in mir aus. Ein Erkennen, Emotionen. Sie sind auch für mich selbst eine Art Hebammenkunst.
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July 2023
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